Keine Ahnung, warum das Kettenspiel bei katholischen Bloggern dieser Tage so beliebt ist: ich selbst habe es vom Blogger Ultramontanus, der hat es vom Klosterneuburger Chorherren Alipius, der hat es von Acts of the Apostasy, der hat es von Defend us in battle… weiter habe ich die Reihe nicht verfolgt.
Das eigentliche Kettenspiel geht so: Man nimmt einen beliebigen Wikipedia-Artikel und klickt auf den ersten Link, der nicht kursiv ist oder in Klammern steht. Wenn man so weitermacht, kommt man recht bald zum Artikel “Philosophie”.
Als unterbeschäftigter Berliner Bohemien habe ich das natürlich exzessiv ausprobiert. Ergebnis: es klappt. Als hipper Berliner New-Media-Trends-Analyser hat mich aber natürlich auch brennend interessiert, warum es klappt. Und dabei bin ich auf eine für Katholiken höchst interessante Erkenntnis gestoßen.
Bevor man zum Philosophie-Artikel kommt, gelangt man fast immer auf den Artikel “Naturwissenschaft”. Von dort aus geht dann die Reise über “Wissenschaft” → “Wissen” → “Wahrheit” → “Wirklichkeit” zu “Philosophie”. Offensichtlich führen also alle Wikipedia-Wege nicht unbedingt zur Philosophie, sondern in erster Linie zur Naturwissenschaft.
Warum? Weil der Naturwissenschaft heutzutage eine quasi-katholische Universalerklärungsfunktion zukommt. Das Fortschreiten von Link zu Link gehorcht ja meistens dem Prinzip immer weitergehenderer Verallgemeinerung. Das liegt daran, dass die ersten Links in einem Artikel meist zu einer Definition mittels differentia specifica gehören – nach dem Muster:
Washington Hunt war ein →US-amerikanischer →Politiker.
Mr. Hunt gehört also einer Schnittmenge zweier allgemeinerer Mengen an (Amerikaner, Politiker), und diese beiden allgemeineren Mengen sind die ersten beiden Links. Auf der nächsten Seite (“Vereinigte Staaten”) heißt es dann:
Die Vereinigten Staaten sind ein Staat in →Nordamerika, der 50 →Bundesstaaten umfasst.
Und flugs ist man beim nächstallgemeineren Begriff – Nordamerika. Und so gehts dann weiter, manchmal geht es auch wieder zurück zum Spezielleren, aber eher selten, sodass man irgendwann beim Allerallgemeinsten angekommen ist. Und das ist die Naturwissenschaft.
Meine Versuche, von möglichst wissenschaftsfernen Artikeln auszugehen, scheiterten kläglich. Der Weg zur Naturwissenschaft war hier sogar noch kürzer:
Eigentlich, so meint man ja als guter Katholik, ist ein Seraph durchaus elementarer und grundlegender als ein Labor. Nun, in der Wikipedia nicht. Und es ist unmöglich, von der Naturwissenschaft wieder zurück zum Seraphen zu kommen. Einmal in rationalistischen Gefilden angekommen, kreisen die Links um sich selbst. Immer wieder kommt man zurück zur Naturwissenschaft, selbst wenn man die Regeln verändert und nur noch dem ersten bisher noch nicht besuchten Link folgt. Alles konvergiert zur innersten Mitte. Die Wissenschaft ist der unbewegte Beweger. Die Wissenschaft ist Gott.